Erstbefahrung. Irgendwas ist geil an diesem Wort. Es hat ein bisschen was vom bärtig- verwegenem Gipfelheld im Leni Riefenstahl Film. Oder vom RedBull gedoptem Steilwandskifahrer auf Lawinenflucht.
Aber wenn wir Biker eine "Erstbefahrung" machen, dann ist das irgendwie anders, irgendwie schräg. Denn wir sind - seien wir ehrlich - auf dem schäbigen Normalweg unterwegs, fernab von verwegen und krass, auf gut erschlossenen Wanderbergen. Wir übernachten in Hütten mit Wasserspülung am Klo und teilen uns den Weg mit FlipFlop tragenden Touristen im Familienurlaub.
"Hast Du eine Wette verloren?" fragte mich neulich eine adipöse 10-jährige. Muss ich mir das als ernsthafter Bergsportler gefallen lassen? Oder bin ich vielleicht gar keiner?! Mit einer Luftmatratze den Mont Blanc Gletscher runter zu rutschen wäre auch eine Erstbefahrung, irgendwie.
Erstbefahrung. Seit vier Jahren zieht mich dieser Gipfel magisch an. Am Anfang war die Idee:
"Geht der?" Wanderkarten und Bergsteigerforen werden verschlungen wie Bestseller, Bilder gegoogelt und Nachts nicht geschlafen.
Ernüchterung Nr.1: Wintereinbruch am Tag der Tage, also nächstes Jahr.
Ernüchterung Nr.2: Hüttenwirt auf der Zustiegsroute ist ein Nazi, will mich anzeigen. Teuer.
Ernüchterung Nr.3: Der Hüttenwirt kann mich mal, wie Indiana Jones robbe ich mich entlang seiner Weide, springe danach aufs Bike und bin unterwegs zum Berg, endlich! ....denkste. Ranger kommt mit dem Heli (!), schickt mich nach 800hm wieder runter, zu Fuss, eh klar, sonst wieder teuer. Also nächstes Jahr.
Erstbefahrung.
"Ganz spontan: Morgen, ganz früh?" Mama sagt zu, zu Fuss. Um 4.00 früh schläft auch der Nazi-Wirt und wir kommen schnell vorwärts. Fünf Stunden Tragen bis zum Gipfel, fair.
"Wir haben eine Tradition hier oben, Bergsteiger zahlen das erste Getränk nicht. Ab heute gibt es eine weitere Tradition: Mountainbiker zahlen gar nichts!" Der Hüttenwirt am Gipfel ist mein größter Fan, lädt mich ein auf Essen und Trinken, interviewt und verfolgt mich mit der Fotokamera auf den ersten 100hm Abfahrt. So muss das sein!
Verabschiedet von Hüttenwirt und Mutter beginnt meine Reise in die Steinwüste. Noch nie so etwas gefahren. Fels, Schotter und Schnee, sonst nix. Kein Weg, nur Markierungen. 1000hm lang.
Ich bin komplett alleine. Fahre nur für mich selbst und gebe alles. Alles muss ich geben, aber dann ist auch alles fahrbar. Ich muss lachen, es ist zu geil. Mein Lachen wird verschluckt vom nichts, kein Geräusch außer dem selbstgemachten, nichts zu sehen außer Fels, Schotter und Schnee.
Ich träume. Sehe mir selbst beim Biken zu. Ich lache. Danke dem Berg.
Nach 1 1/2 Stunden wirds wegmäßiger und nochmals schwieriger. Ich erschrecke vor mir selbst. Fahre Sektionen, die eigentlich nicht gehen, ignoriere Abgründe und funktioniere einfach nur noch. Mein Rad ist schon lange kein Rad mehr, es ist Teil meines Körpers. Meine Stollen berühren den Fels wie Hände, ich fühle seine Struktur und spüre seinen Grip.
Plötzlich spuckt mich der Berg aus und über einen flüssigen Gratweg gleite ich weiter talwärts.
"Jetzt 1200hm flüssigen Trail, bitte!" Kommt wie bestellt.
Erstbefahrung? ....Selbsterfahrung!
Harald