Ich versuche mal ein paar generelle Anmerkungen dazu, welche Geometrie-Faktoren sich wie bemerkbar machen.
Generelle Aussagen wie "die und die Geometrie ist besser" gibt es leider nicht, es ist von zu vielen verschiedenen Faktoren wie z.b. Körperproportionen, Fahrstil, Vorlieben bei der Streckenwahl, etc abhängig als dass man da pauschale Aussagen treffen könnte. Daher fang ich mal ganz allgemein an.
Reach:
ist ausschließlich für das Fahren im Stehen relevant und beschreibt den horizontalen Abstand zwischen Tretlager und Steuerrohr.
Ein langer Reach lässt dem Fahrer mehr Platz auf dem Rad um den Schwerpunkt durch die Position des Oberkörpers passend zur Fahrsituation zu verlagern. Zwischen dem Überschlagspunkt (Schwerpunkt zu weit vorne) und der "Arsch frisst
Reifen" Position überm Hinterrad ist mehr Platz zum Manövrieren als auf einem Rad mit kurzem Reach. Das führt meistens zu einem sichererem Fahrgefühl besonders in Steilstücken und erlaubt eine aktive Fahrweise. Auf der Kehrseite zwingt ein langer Reach auch zu einer aktiven Fahrweise, der Fahrer muss aktiv Druck auf dem Vorderrad aufbauen und den durch den langen Reach generierten "Platz" zur Schwerpunktverlagerung auch ausnutzen. Fährt man ein Rad mit langem Reach sehr passiv indem man sich nur auf eine Position mit langen Armen über die Pedale stellt, hat das Vorderrad in manchen Situationen zu wenig Druck und rutscht früher weg. Ein langer Reach erhöht zudem auch den Radstand, ein langes Rad fährt sich eher träger und weniger spielerisch als ein kurzes Rad. Es muss in verwinkelten Trails mit mehr Nachdruck manövriert werden. Das Hinterrad in die Luft zu nehmen (Hinterrad versetzen beispielsweise) braucht mit langem Reach mehr Schwerpunktsverlagerung, muss also mit mehr Impuls eingeleitet werden, was kraftintensiver ist.
Zusammengefasst: langer Reach fühlt sich im Steilen sicherer an, muss aber aktiv gefahren werden. Kurzer Reach ist verspielter, kann aber zu mehr Überschlagsgefühlen führen.
Stack:
ist ebenfalls ausschließlich für das Fahren im Stehen relevant und beschreibt den vertikalen Abstand zwischen Tretlager und Steuerrohroberkante. Ein hoher Stack fühlt sich für viele Fahrer "gemütlicher" und "vertrauenserweckender" an in Steilabfahrten, da der Oberkörper weiter oben bleibt. Auf der Kehrseite stellt eine hohe Front einen großen Überschlagshebel dar, somit ist die Überschlagsneigung bei einem hohen Stack objektiv gesehen eher höher. Ein Rad mit einer höheren Front lässt sich in manchen Situationen weniger kraftintensiv manövrieren. Die Höhe des Lenkers kann mit Vorbau und Spacern recht gut angepasst werden. Nur wenn der Stack sowieso zu hoch ist, kann man wenig machen. Der Stack ist also (sofern er nicht zu hoch ist) eine relativ unkritische Größe, zu kurz lässt sich recht einfach beheben. Zu lang ist sofort ein no-go, da nicht korrigierbar.
Vorbaulänge:
der Trend geht bei abfahrtsorientierten Geometrien zu kurzen Vorbauten. Der Vorbau ist der Hebel zwischen Lenker und Laufrad. Ein kurzer Vorbau führt zu einem direkten Lenkgefühl, da wenig Einschlag am Lenker ausreicht um das Laufrad einzudrehen. Der kurze Hebel eines kurzen Vorbaus erfordert allerdings auch mehr Lenkkraft. Das kann in Steilabfahrten mit sehr viel Druck auf dem Vorderrad relevant sein. Ein kurzer Vorbau und damit direktes Lenkverhalten kann auch im Extrem dazu führen, dass man das Vorderrad zu schnell verreißt. Um die veränderte Hebelwirkung eines kurzen Vorbaus zu kompensieren, verbaut man oft zu einem kürzeren Vorbau auch gleich einen längeren Lenker. Ein kurzer Vorbau setzt zudem den Fahrer gegenüber dem Vorderrad etwas zurück, die Überschlagsneigung wird geringer, was in Steilabfahrten von Vorteil ist. Auf der Kehrseite kann das bei passiver Fahrweise auch dazu führen, dass zu wenig Druck am Vorderrad aufgebaut wird und der Fahrer sich zu weit hinten positioniert, durch einen längeren Vorbau würde der Fahrer unwillentlich weiter nach vorne gezwungen werden.
Die Vorbaulänge ist auch mit dem Lenkwinkel korreliert, da das Lenkverhalten des Fahrrads u.a. sowohl von der Vorbaulänge als auch vom Lenkwinkel abhängt. Abfahrtsorientierte Räder mit flachem Lenkwinkel werden meistens mit kurzem Vorbau (35-60mm) gefahren, tourenorientierte Räder mit steilerem Lenkwinkel werden meistens mit längerem Vorbau (60-90mm) gefahren.
Man kann die Länge eines Fahrrads zwar über die Vorbaulänge anpassen, das wird auch in Fachgeschäften und von vielen Radfahrern so empfohlen. Man sollte sich aber genau überlegen, in welchem Rahmen man das tun will, da sowohl Reach als auch Vorbaulänge als separate Größen einen massiven Einfluss auf das Fahrverhalten haben, somit also nicht nur die Gesamtlänge entscheidend ist. Einen unpassenden Reach über die Vorbaulänge "passend" zu machen, führt nur hinsichtlich der Sitzposition, nicht aber hinsichtlich der Abfahrtseigenschaften zum Erfolg.
Lenkwinkel:
moderne "All-Mountain", "Enduro" oder "Trailbikes" haben meistens einen Lenkwinkel zwischen 67 und 65°, das ist ziemlich in der Mitte des Spektrums. Downhillräder haben bis zu 62° flache Lenkwinkel, Touren/CC-Räder haben 68-70° Lenkwinkel.
Ein flacher Lenkwinkel verbessert den Winkel, in dem das Vorderrad gegen Hindernisse auf dem Boden läuft, und erleichtert somit das Einfedern der Gabel und das Überrollen des Hindernisses. Zudem schiebt ein flacher Lenkwinkel das Vorderrad relativ zum Fahrer nach vorne, der Radstand vergrößert sich. Die Überschlagsneigung vor allem im steilen Gelände sinkt, das Fahrrad wird laufruhiger. In der Ebene oder bei nur leichtem Gefälle fühlt sich ein sehr flacher Lenkwinkel träge an. Das Lenkverhalten wird bei flacheren Lenkwinkeln "kippelig", da das weiter nach vorne stehende Vorderrad beim Lenken geneigt wird. Ein steilerer Lenkwinkel und weniger weit vor dem Fahrer stehendes Vorderrad führt zu nervöserem Fahrverhalten. Mit einem flacheren Lenkwinkel steigt das Hinterrad weniger willig, analog zu einem langen Reach.
Dadurch, dass sowohl ein langer Reach als auch ein flacher Lenkwinkel das Vorderrad relativ zum Tretlager (Grundposition des Fahrers) nach vorne verschieben, erlaubt ein Fahrrad mit einem langen Reach etwas steilere Lenkwinkel, wohingegen bei einem kurzen Reach ein eher flacherer Lenkwinkel nötig ist, um zu einem ähnlichen Fahrgefühl hinsichtlich der Überschlagstendenz zu kommen.
Der Lenkwinkel ist eine der relevantesten Größen für das Fahrverhalten bergab.
Tretlagerhöhe:
ein tiefes Tretlager führt zu einem "ins Fahrrad integrierten" Gefühl für den Fahrer. Relevant für dieses Gefühl ist vor allem die Tretlagerabsenkung relativ zur Nabenachse. Ein Rad mit derselben Tretlagerhöhe über dem Boden aber mit größeren Laufrädern fühlt sich daher mehr "ins Rad integriert" an als mit kleineren Laufrädern. Der Schwerpunkt wird bei einem tiefen Tretlager abgesenkt, die Überschlagsneigung sinkt damit ebenfalls. Nachteil eines tiefen Tretlagers ist die reduzierte Bodenfreiheit an hohen Stufen bergab und auf Trailuphills. Das Hinterrad steigt weniger willig.
Kettenstrebenlänge:
beeinflusst das Fahrverhalten mehr als oft geglaubt wird. Lange Kettenstreben verlängern den Radstand und machen das Fahrrad laufruhig. Das Vorderrad steigt weniger willig, mit angehobenem Vorderrad durch Bodensenken zu fahren erfordert mehr Schwerpunktverlagerung und Krafteinsatz, das kann sich träge anfühlen. Bei steilen Uphills kippt der Fahrer nicht so schnell nach hinten, da das Hinterrad durch die längeren Kettenstreben weiter nach hinten verlagert ist und der Fahrer somit zentraler im Rad sitzt.
effektive Oberrohrlänge, Sitzrohrlänge, Sitzwinkel etc:
beeinflussen vor allem die Sitzposition, das lasse ich jetzt mal aus.
Jetzt ist die Krux auch noch, wie die ganzen Faktoren zusammenspielen.
Um ein harmonisches Rad zu erhalten, müssen die Einzelteile zusammenpassen. Hier jetzt meine persönliche Meinung:
Für ein Trailbike, also keine extreme Downhillmaschine und auch kein extremes Renngerät, ist ein guter Kompromiss aus Laufruhe und spielerischem Handling gefragt. Da gibt es unterschiedliche Ansätze Reach und Kettenstrebenlänge zu kombinieren. Der erste Ansatz ist ein eher kurzer Reach und eher lange Kettenstreben, das baut z.B. Propain. Der zweite Ansatz ist das Gegenteil, also eher langer Reach und eher kurze Kettenstreben, Mondraker macht das z.B. schon recht extrem. Beides hat seine Fans. Ich mag zweiteres lieber.
Würde man einen langen Reach und lange Kettenstreben kombinieren (gibt es auch), kommt ein sehr laufruhiger und damit auch sperriger "Tanker" dabei raus.
Der Radstand als Kenngröße für sich ist für mich persönlich eher nicht so relevant. Ich achte lieber auf die einzelnen Faktoren wie Reach, Lenkwinkel, Kettenstrebenlänge. Das soll nicht heißen, dass der Radstand irrelevant ist, aber er ist in meiner Priorität eben hinter seinen Einzelteilen eingeordnet. Wenn ich einen langen Reach haben will, dann wird der Radstand halt länger und ich lebe lieber damit, als zugunsten eines "wendigeren" Radstands auf meinen gewünschten Reach zu verzichten. Ein langes oder kurzes Rad lässt sich handeln, ein komisch fahrendes Rad eher nicht.
Nun kommt es natürlich noch auf die Vorlieben des Fahrers an wie oben angesprochen.
Meiner Meinung nach ist ein eher langsamerer, passiver Fahrer mit einer gemäßigten Geometrie besser aufgehoben. Gemäßigter will heißen: nicht allzu langer Reach, da ein sehr langer Reach wie oben ausgeführt eine aktive Fahrweise verlangt. Nicht allzu kurzer Vorbau und nicht allzu flacher Lenkwinkel, da ansonsten bei passiver Position auf dem Rad tendentiell eher zu wenig Druck auf dem Vorderrad aufgebaut wird. Allerdings auch nicht zu lang und steil, da ansonsten die Sicherheit in Steilstücken leidet. Einen guten Kompromiss für diese Anforderungen sehe ich z.B. bei einem Reach von 390-410mm bei Rahmengröße S, Lenkwinkel von um die 66°, Vorbaulänge 40-60mm. Ein tiefes Tretlager erhöht die Sicherheit bergab, kann aber wieder hinderlich werden, wenn die Ansprüche ans Gelände steigen (Stichpunkt Bodenfreiheit). Also auch hier einen Kompromiss wählen, tief aber nicht zu tief.
Blöde Frage: ist dir das Sitzrohr beim Propain und Bergamont nicht zu lang? Ich glaub du warst jetzt auch nicht die allergrößte? Mir wär's einfach zu lang und damit wär das Rad für mich schon gleich raus, ohne dass ich länger drüber nachdenken müsste.