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Hier ein sehr lesenswerter Beitrag zum Thema Tests in der Fahrradpresse. Ist bei Facebook, aber ich kopiere es mal hier herein.
Der Verfasser ist Leiter des EFBE Prüfinstituts für Fahrradtechnik und mir persönlich bekannt.
Selbstgerechtigkeit (substantiv, f, [ˈzɛlpstɡəˌʁɛçtɪçkaɪ̯t])
ist laut Wiktionary "Stolz auf die (vermeintliche) eigene moralische und sittliche Untadelbarkeit”.
Die BIKE lobt sich unter dem Titel “Klare Linie” in einem Beitrag vom 13.07.2020 als “Test-Instanz der Mountainbike-Szene" und nimmt für sich in Anspruch, “seriösen Journalismus”, “objektive Bewertungen” und “neutrale Testergebnisse” zu liefern: https://www.bike-magazin.de/…/testberichte-+-be…/a44513.html
Ok, wer sich auf einen derartigen Sockel stellt und auf "viele andere Fahrradmedien” herabschaut, muss sich dann vielleicht doch mal etwas Kritik gefallen lassen. Ein Kernproblem ist, wenn herstellerspezifische Testmethoden und -parameter verwendet werden und - ohne jede kritische Distanz - auf die Welt losgelassen werden. Das erzeugt Scheinobjektivität.
In Kurzform: Es gibt eine Ko-Evolution von Produkt und Test, und ein Produkt, das auf Basis eines Tests (nichts anderes als ein vereinfachtes Modell der Realität) entwickelt ist, wird in diesem Test immer besser abschneiden als eines, das auf Basis eines ganz anderen Modells und Tests entwickelt wurde. Und das hat nichts damit zu tun, welches Modell bzw. welcher Test der bessere ist. Ein einfaches Beispiel: BMW macht prima Autos, die sie auf ihren eigenen Teststrecken und mit eigenen Prüfungen testen. Mercedes macht prima Autos, testet sie auf anderen Strecken und mit anderen Prüfungen. Ein Mercedes auf der BMW-Strecke wird sehr wahrscheinlich nicht gut abschneiden, ein BMW bei Mercedes auch nicht. Die Tests sind unterschiedliche Abbilder der Nutzung beim Kunden und fallen durchaus unterschiedlich aus, aber beide führen zum Ziel.
Ganz aktuell - der Laufradtest der BIKE 07/2020: https://www.bike-magazin.de/…/test-mtb-laufraed…/a44006.html
Die Stoßprüfung (“Crash-Test”) auf die Felge zum Beispiel ist sinnvoll und richtig, nur gibt es dafür keinerlei anerkannten Industriestandard. Standardisiert ist nur der UCI Impact Test auf beide Felgenhörner bei Rennradlaufrädern: https://youtu.be/OrfF719_goE
Darüber hinaus gibt es so viele unterschiedliche Ideen, wie es Hersteller von Felgen und Laufrädern gibt.
ENVE z.B. scheint ganz gern einen Reifen zwischen Felge und Schlagkörper zu bringen, lässt den aber, zumindest für Road Bikes, parallel zur Laufradebene auftreffen: https://youtu.be/Wfu3u4Z_9oQ
BONTRAGER verwendet etwas, was ein bisschen an die französische Revolution erinnert, aber die Klinge mit Gummi abpolstert: https://www.instagram.com/p/CB6PwHvncd8/…
SANTACRUZ gibt einfach Herrn MacAskill ein Laufrad und nennt das auch “Test": https://youtu.be/VfjjiHGuHoc - der Möglichkeiten sind Legion.
Die BIKE dagegen spannt die Felge seitlich ein (fragwürdige Randbedingung?), nimmt einen Kunststoffprüfkörper mit Radius (gut: reproduzierbare Verformung statt Reifen/Gummi) und lässt ihn unter einem Winkel von 20° auf die lateral fixierte, aber radial nachgiebige(?) Felge “dreschen” (Ausdruck der BIKE): https://www.bike-magazin.de/…/test-mtb-laufraed…/a44006.html
Das kann man so machen, das ist mit Sicherheit besser als die amerikanischen Ideen oben, aber: Ist es möglich, dass das ein SYNTACE-Test ist? Der Test, der vermutlich auch den NEWMEN-Test (Michi Grätz ist Ex-Mitarbeiter von SYNTACE) inspiriert hat: https://www.newmen-components.de/…/laufraeder/felgen-impact/
Jeder angenommene Winkel zur Laufrad-Hauptebene in so einem Stoßtest kann eben nur eine Annahme sein. Wenn SYNTACE von einem Stoß (Durchschlag) unter 20° ausgeht und entsprechend konstruiert - dann wird diese Felge bei einem 20°-Stoß sehr gut aussehen, aber vielleicht bei 10° nicht mehr, und wahrscheinlich auch nicht unter 30°.
Die Alarmglocken eines BIKE-Testers müssten eigentlich dann klingeln, wenn bekannt robuste Produkte wie z.B. ein DT SWISS M 1900 Spline plötzlich im unteren Mittelfeld eines “Crash-Test” landen. Vielleicht ist das Produkt gar nicht so schwach, sondern der Test zum Vergleich untauglich? Zu dieser kritischen Reflexion scheint die BIKE nicht immer in der Lage zu sein. Und sie stolpert auch nicht darüber, dass beide SYNTACE LRS den mutmaßlichen SYNTACE-Test, wenig überraschend, mit überragenden Ergebnissen abschließen - außer vielleicht beim Gewicht. Wie würde das wohl aussehen, wenn man einen hausinternen DT SWISS-Test verwendet hätte?
Jo Klieber mit seiner Marke SYNTACE hat alles richtig gemacht. Er hat Geld und Zeit in Betriebslastenmessungen und deren Auswertung investiert, hat Prüfmethoden für Laufräder, Lenker u.v.a.m entwickelt, und er hat hochwertige Produkte konstruiert, die dieses Know-How nutzen. Man kann im Einzelnen durchaus fragen, ob das jetzt alles gute Tests sind - wir wissen, dass z.B. die Lenkerprüfung viel zu hart ist, und wir finden, dass die Stoßprüfung von Felgen unter diesem speziellen Winkel deutliche Schwächen hat - aber Syntace hat investiert, ist methodisch vorgegangen, hat sorgfältig getestet und überdurchschnittlich zuverlässige und gute Produkte erfolgreich verkauft. Respekt.
Die armen Redakteure der BIKE (wie auch ihr Schwestermagazin TOUR) dagegen müssen einer deutschen Leserschaft Zahlen, Daten, Fakten liefern. Da reicht es nicht, wie es in anderen Teilen der Welt üblich ist, einen Fahrbericht zu schreiben, nein, der deutsche Leser kauft das Produkt, dass 77 ibE bringt, und nicht das Produkt mit 75 ibE (ibE steht hier für irgendeine beliebige Einheit). Das führt manchmal zu grotesken Blüten - wenn z.B. eine Steifigkeit bewertet wird, ohne dass es irgendeine wissenschaftliche Grundlage gibt, dass steifer wirklich besser ist - oder ob es nicht z.B. einen Sättigungseffekt gibt (70 ibE sind genug - warum sollten 80 ibE besser sein?). Oft wird auch jede metrologische Grundlage und Messunsicherheit ignoriert - da liegen Sieger und Verlierer von Messungen so nah zusammen, dass man eigentlich von Rauschen ausgehen muss, aber, ja, 76 ibE sind mehr als 75 ibE, und ja, die Leser wollen es offensichtlich so.
Aber wirklich hässlich wird es dann, wenn die Zeitschrift verschleiert, dass sie Prüfmethoden - die eben nicht allgemein anerkannt und eben nicht einfach nur neutral und objektiv sind - eines beliebigen Teilnehmers einsetzt, und dann andere Teilnehmer damit abwertet. Der Lenker-/Vorbautest SYNTACE DH2002.4 (siehe: https://www.bike-components.de/…/dadcb244150a714629ccfb60ac…) findet sich zum Beispiel im Multiload-Test der Bike wieder (hinter Paywall: https://www.delius-k...enkertest-16699 ) - das haben wir schon mal 2014 reklamiert und die Neuauflage 2017 mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen.
Für SYNTACE ist dieses Arrangement vermutlich erfolgreich genug, dass sie ihre proprietären Tests (die früher detailliert und stolz unter der Überschrit "Test & Crash" veröffentlicht wurden) aus dem Netz genommen haben: Wenn BIKE die eigenen Tests zum offiziellen, objektiven und neutralen Test adelt - warum dann nicht die kostenlose Werbung für das eigene Produkt nutzen?
Nur macht das kein Produkt besser, es erstickt alternative (und vielleicht bessere) Ansätze, und es betrügt die Leser.
Der Verfasser ist Leiter des EFBE Prüfinstituts für Fahrradtechnik und mir persönlich bekannt.
Selbstgerechtigkeit (substantiv, f, [ˈzɛlpstɡəˌʁɛçtɪçkaɪ̯t])
ist laut Wiktionary "Stolz auf die (vermeintliche) eigene moralische und sittliche Untadelbarkeit”.
Die BIKE lobt sich unter dem Titel “Klare Linie” in einem Beitrag vom 13.07.2020 als “Test-Instanz der Mountainbike-Szene" und nimmt für sich in Anspruch, “seriösen Journalismus”, “objektive Bewertungen” und “neutrale Testergebnisse” zu liefern: https://www.bike-magazin.de/…/testberichte-+-be…/a44513.html
Ok, wer sich auf einen derartigen Sockel stellt und auf "viele andere Fahrradmedien” herabschaut, muss sich dann vielleicht doch mal etwas Kritik gefallen lassen. Ein Kernproblem ist, wenn herstellerspezifische Testmethoden und -parameter verwendet werden und - ohne jede kritische Distanz - auf die Welt losgelassen werden. Das erzeugt Scheinobjektivität.
In Kurzform: Es gibt eine Ko-Evolution von Produkt und Test, und ein Produkt, das auf Basis eines Tests (nichts anderes als ein vereinfachtes Modell der Realität) entwickelt ist, wird in diesem Test immer besser abschneiden als eines, das auf Basis eines ganz anderen Modells und Tests entwickelt wurde. Und das hat nichts damit zu tun, welches Modell bzw. welcher Test der bessere ist. Ein einfaches Beispiel: BMW macht prima Autos, die sie auf ihren eigenen Teststrecken und mit eigenen Prüfungen testen. Mercedes macht prima Autos, testet sie auf anderen Strecken und mit anderen Prüfungen. Ein Mercedes auf der BMW-Strecke wird sehr wahrscheinlich nicht gut abschneiden, ein BMW bei Mercedes auch nicht. Die Tests sind unterschiedliche Abbilder der Nutzung beim Kunden und fallen durchaus unterschiedlich aus, aber beide führen zum Ziel.
Ganz aktuell - der Laufradtest der BIKE 07/2020: https://www.bike-magazin.de/…/test-mtb-laufraed…/a44006.html
Die Stoßprüfung (“Crash-Test”) auf die Felge zum Beispiel ist sinnvoll und richtig, nur gibt es dafür keinerlei anerkannten Industriestandard. Standardisiert ist nur der UCI Impact Test auf beide Felgenhörner bei Rennradlaufrädern: https://youtu.be/OrfF719_goE
Darüber hinaus gibt es so viele unterschiedliche Ideen, wie es Hersteller von Felgen und Laufrädern gibt.
ENVE z.B. scheint ganz gern einen Reifen zwischen Felge und Schlagkörper zu bringen, lässt den aber, zumindest für Road Bikes, parallel zur Laufradebene auftreffen: https://youtu.be/Wfu3u4Z_9oQ
BONTRAGER verwendet etwas, was ein bisschen an die französische Revolution erinnert, aber die Klinge mit Gummi abpolstert: https://www.instagram.com/p/CB6PwHvncd8/…
SANTACRUZ gibt einfach Herrn MacAskill ein Laufrad und nennt das auch “Test": https://youtu.be/VfjjiHGuHoc - der Möglichkeiten sind Legion.
Die BIKE dagegen spannt die Felge seitlich ein (fragwürdige Randbedingung?), nimmt einen Kunststoffprüfkörper mit Radius (gut: reproduzierbare Verformung statt Reifen/Gummi) und lässt ihn unter einem Winkel von 20° auf die lateral fixierte, aber radial nachgiebige(?) Felge “dreschen” (Ausdruck der BIKE): https://www.bike-magazin.de/…/test-mtb-laufraed…/a44006.html
Das kann man so machen, das ist mit Sicherheit besser als die amerikanischen Ideen oben, aber: Ist es möglich, dass das ein SYNTACE-Test ist? Der Test, der vermutlich auch den NEWMEN-Test (Michi Grätz ist Ex-Mitarbeiter von SYNTACE) inspiriert hat: https://www.newmen-components.de/…/laufraeder/felgen-impact/
Jeder angenommene Winkel zur Laufrad-Hauptebene in so einem Stoßtest kann eben nur eine Annahme sein. Wenn SYNTACE von einem Stoß (Durchschlag) unter 20° ausgeht und entsprechend konstruiert - dann wird diese Felge bei einem 20°-Stoß sehr gut aussehen, aber vielleicht bei 10° nicht mehr, und wahrscheinlich auch nicht unter 30°.
Die Alarmglocken eines BIKE-Testers müssten eigentlich dann klingeln, wenn bekannt robuste Produkte wie z.B. ein DT SWISS M 1900 Spline plötzlich im unteren Mittelfeld eines “Crash-Test” landen. Vielleicht ist das Produkt gar nicht so schwach, sondern der Test zum Vergleich untauglich? Zu dieser kritischen Reflexion scheint die BIKE nicht immer in der Lage zu sein. Und sie stolpert auch nicht darüber, dass beide SYNTACE LRS den mutmaßlichen SYNTACE-Test, wenig überraschend, mit überragenden Ergebnissen abschließen - außer vielleicht beim Gewicht. Wie würde das wohl aussehen, wenn man einen hausinternen DT SWISS-Test verwendet hätte?
Jo Klieber mit seiner Marke SYNTACE hat alles richtig gemacht. Er hat Geld und Zeit in Betriebslastenmessungen und deren Auswertung investiert, hat Prüfmethoden für Laufräder, Lenker u.v.a.m entwickelt, und er hat hochwertige Produkte konstruiert, die dieses Know-How nutzen. Man kann im Einzelnen durchaus fragen, ob das jetzt alles gute Tests sind - wir wissen, dass z.B. die Lenkerprüfung viel zu hart ist, und wir finden, dass die Stoßprüfung von Felgen unter diesem speziellen Winkel deutliche Schwächen hat - aber Syntace hat investiert, ist methodisch vorgegangen, hat sorgfältig getestet und überdurchschnittlich zuverlässige und gute Produkte erfolgreich verkauft. Respekt.
Die armen Redakteure der BIKE (wie auch ihr Schwestermagazin TOUR) dagegen müssen einer deutschen Leserschaft Zahlen, Daten, Fakten liefern. Da reicht es nicht, wie es in anderen Teilen der Welt üblich ist, einen Fahrbericht zu schreiben, nein, der deutsche Leser kauft das Produkt, dass 77 ibE bringt, und nicht das Produkt mit 75 ibE (ibE steht hier für irgendeine beliebige Einheit). Das führt manchmal zu grotesken Blüten - wenn z.B. eine Steifigkeit bewertet wird, ohne dass es irgendeine wissenschaftliche Grundlage gibt, dass steifer wirklich besser ist - oder ob es nicht z.B. einen Sättigungseffekt gibt (70 ibE sind genug - warum sollten 80 ibE besser sein?). Oft wird auch jede metrologische Grundlage und Messunsicherheit ignoriert - da liegen Sieger und Verlierer von Messungen so nah zusammen, dass man eigentlich von Rauschen ausgehen muss, aber, ja, 76 ibE sind mehr als 75 ibE, und ja, die Leser wollen es offensichtlich so.
Aber wirklich hässlich wird es dann, wenn die Zeitschrift verschleiert, dass sie Prüfmethoden - die eben nicht allgemein anerkannt und eben nicht einfach nur neutral und objektiv sind - eines beliebigen Teilnehmers einsetzt, und dann andere Teilnehmer damit abwertet. Der Lenker-/Vorbautest SYNTACE DH2002.4 (siehe: https://www.bike-components.de/…/dadcb244150a714629ccfb60ac…) findet sich zum Beispiel im Multiload-Test der Bike wieder (hinter Paywall: https://www.delius-k...enkertest-16699 ) - das haben wir schon mal 2014 reklamiert und die Neuauflage 2017 mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen.
Für SYNTACE ist dieses Arrangement vermutlich erfolgreich genug, dass sie ihre proprietären Tests (die früher detailliert und stolz unter der Überschrit "Test & Crash" veröffentlicht wurden) aus dem Netz genommen haben: Wenn BIKE die eigenen Tests zum offiziellen, objektiven und neutralen Test adelt - warum dann nicht die kostenlose Werbung für das eigene Produkt nutzen?
Nur macht das kein Produkt besser, es erstickt alternative (und vielleicht bessere) Ansätze, und es betrügt die Leser.