RockShox Flight Attendant-Fahrwerk im Test: Es ist elektrisch, es ist kabellos und es agiert voll automatisch – das neue Flight Attendant-System von RockShox soll die Fahrwerk-Technik revolutionieren und Mountainbike-Touren so sorglos wie nie zuvor machen. Das neue System kommt zunächst an sechs Modellen der Firmen YT, Canyon, Specialized und Trek zum Einsatz und deckt die Bereiche Trail bis Enduro ab. MTB-News konnte es bereits exklusiv über mehrere Wochen testen – hier gibt’s die Eindrücke und Infos!
RockShox Flight Attendant – Infos und Preise
Zugegeben: Dass SRAM das eigens entwickelte, kabellose AXS-Netzwerk nicht lediglich auf Schaltung und Reverb begrenzen würde, war abzusehen. Dennoch ist die Vorstellung des neuen Flight Attendant-Systems eine kleine Sensation: Nach über 7 Jahren Entwicklungszeit kommt es nun in limitierter Anzahl auf den Markt und besteht aus Federgabel, Dämpfer, Pedaliersensor und AXS-Controller. Es misst und bestimmt über verschiedene integrierte Sensoren die aktuelle Fahrsituation und kann Gabel und Dämpfer vollautomatisch in den drei Modi Open, Pedal und Lock justieren. Dadurch soll man stets mit maximaler Effizienz unterwegs sein – ohne auch nur einen Gedanken an die Federelemente zu verschwenden. Zu Beginn ist das System an lediglich sechs Trail-, beziehungsweise Enduro-Bikes zu finden – mehr sollen mit der Zeit hinzukommen. Wir konnten das RockShox Flight Attendant-System bereits gründlich an einem YT Capra testen.
- elektrisches, kabelloses und automatisches Mountainbike-Fahrwerk
- Gabel-Modelle Pike, Lyrik, Zeb
- Dämpfer-Modelle Super Deluxe Ultimate
- Dämpfung Charger Flight Attendant (LSC / Open, Pedal, Lock)
- Einstellmöglichkeiten
- am Bike: LSC, Bias, Override, manueller Modus, Rebound (mechanisch)
- App: LSC, Bias, Belegung der AXS-Controller, Dark Mode, welcher Override-Modus
- Konnektivität AXS-Netzwerk
- Wasser- und Staubschutz IPX7
- Batterie-Laufzeit Gabel: 20–30 h; Dämpfer: 30–40 h; Pedaliersensor & Controller: 200 Stunden
- Gewicht 300 g mehr als reguläres Fahrwerk
- www.sram.com/rockshox
Preis vorerst nur OEM und nicht im Aftermarket erhältlich
Hier erfährst du, an welchen Bikes du das System bekommst: RockShox Flight Attendant-Fahrwerk: Diese 6 Bikes gibt es schon mit dem neuen System
Video: RockShox Flight Attendant im Test
Im Detail
Was ist RockShox Flight Attendant?
Natürlich sind automatische Fahrwerksysteme an sich nichts komplett Neues – mit Fox Live Valve gibt es sogar schon ein System, das sich aktuell auf dem Markt befindet. Vor 20 Jahren hatten bereits Cannondale, später Lapierre, Ghost und Haibike mit ei:Shock und vor einigen Jahren Magura mit eLECT entsprechende Versuche unternommen, die allerdings keine große Verbreitung fanden. Anders könnte es nun mit dem RockShox Flight Attendant-System aussehen, das aus insgesamt vier Komponenten besteht. Natürlich sind die Federgabel – kompatibel sind die RockShox-Modelle Pike, Lyrik und Zeb – sowie der Super Deluxe-Dämpfer Teil des Ganzen. Dazu gesellen sich noch ein Pedaliersensor, der in der Kurbel-Achse Platz findet, sowie ein neuer AXS-Controller, der auf der linken Lenker-Seite angebracht wird.
Gabel und Dämpfer wurden um elektronische Bauteile erweitert, die nicht nur den Motor zur Einstellung der Low Speed Compression sowie der drei Fahrwerkmodi, sondern auch verschiedene Sensoren und natürlich die nötige Rechenleistung beinhalten. Elektronik und Hydraulik werden übrigens voneinander getrennt zusammengebaut und anschließend verheiratet. Für einen Service lassen sie sich entsprechend leicht wieder voneinander trennen – das erledigen wenige Schrauben.
Was genau das Fahrwerk misst, möchte RockShox lieber nicht angeben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass verschiedene Beschleunigungs- und Neigungs-Sensoren an Bord sind. Eine große Rolle spielt der Pedaliersensor, der feststellt, ob der Fahrer oder die Fahrerin gerade in die Pedale tritt oder nicht. Die Daten werden ausgelesen und ein Algorithmus entscheidet selbstständig darüber, ob das Rad am besten im offenen Modus, im Pedalier-Modus mit verhärteter Druckstufe oder im Lock-Modus mit fast gesperrtem Fahrwerk unterwegs ist.
Während Konkurrenz-Systeme häufig nur die zwei Modi offen und zu kennen, bringt RockShox also einen mittleren Pedal-Mode ins Spiel. Dazu kommt, dass das System Teil des AXS-Netzwerks ist. Gabel und Dämpfer verfügen über die bekannten Akkus – alle Komponenten lassen sich miteinander verbinden und über die AXS-Smartphone-App bedienen. Wie schon bei der Schaltung, lässt sich etwa die Belegung der Controller frei wählen. Alle Fahrwerkseinstellungen können sowohl über die App als auch über das Control Module, das die Dämpfungs-Einsteller an der Gabel ersetzt, vorgenommen werden. Man ist auf dem Trail also nicht auf sein Smartphone angewiesen. Welche Einstellung man gerade vornimmt, erkennt man an der Farbe der 5 LED-Lichter.
Wer dem Automatik-Modus nicht traut, hat zwei Optionen: Durch einen langen Druck auf den Mode-Knopf an der Gabel kommt man in den manuellen Modus – die LEDs leuchten nun rot. Über den AXS-Controller kann man einfach zwischen Open, Pedal und Lock wechseln – ähnlich wie bei einer mechanischen Lenkerfernbedienung. Alternativ kann man eine Sekunde lang den Controller gedrückt halten und kommt in den Override-Modus – die LEDs leuchten orange. Dieser überschreibt sozusagen den Automatik-Modus und verpasst dem Fahrwerk einen vorher festgelegten Modus. Im Lieferzustand ist das der Lock, man kann in der App jedoch auch festlegen, dass dies stets Pedal oder Open sein soll. Ein kurzer Druck auf den Controller setzt das Fahrwerk zurück in den Auto-Modus.
Am Control Module – oder wahlweise in der App – kann die Low Speed Compression der Gabel (blaue LEDs) oder des Dämpfers (Cyan-farbene LEDs) in 10 Klicks verstellt werden. Der Rebound verfügt an beiden Komponenten über 20 Klicks und wird wie gewohnt mechanisch eingestellt. Eine externe High Speed Compression sucht man vergeblich. Sehr spannend ist die Bias-Einstellung (lila LEDs): Diese schreibt dem Fahrwerk vor, ob es tendenziell eher den Open- oder den Lock-Modus wählen soll. Zu Beginn ist es stets in der Nullposition, kann jedoch um zwei Stufen in beide Richtungen justiert werden.
Eine wichtige Frage ist natürlich: Was ist, wenn mir mal der Saft ausgeht? Bevor das passiert, wechselt das Fahrwerk in den Safe-Mode (gelbe LEDs) und öffnet die Dämpfung. Man kann also ganz normal fahren, profitiert jedoch nicht mehr vom Automatik-Modus und kann keine Änderungen an der Druckstufe vornehmen. Auch wenn man einen Akku vergisst, kommt der Safe-Mode zum Einsatz. Man kann also theoretisch einen Akku kurz an Gabel und Dämpfer anschließen, um sicherzugehen, dass beide sich öffnen, und dann ganz normal fahren gehen.
Neben unserem YT Capra Uncaged 6-Testrad für 8.999 € (UVP) sind folgende Bikes mit dem RockShox Flight Attendant-Fahrwerk ausgestattet: YT Jeffsy, Canyon Spectral, Canyon Neuron, Specialized Enduro und Trek Slash. Weitere Modelle – auch E-Bikes – sollen folgen. Zunächst wird es das Fahrwerk nur an Kompletträdern geben. Später könnte RockShox jedoch Upgrade-Kits für spezifische Modelle anbieten.
Weitere Neuerungen am Fahrwerk
Neben dem elektronischen Flight Attendant-System führt RockShox an den neuen Federgabel- und Dämpfer-Modellen einige technische Neuerungen ein, die ebenfalls sehr erwähnenswert sind. So stecken nun sogenannte Buttercups an den Enden der luft- und dämpfungsseitigen Kolbenstangen der Gabeln. Im Inneren der goldenen Hütchen verbergen sich Elastomere, die auf hochfrequente Vibrationen ansprechen sollen – RockShox verspricht, dass 20 % der unerwünschten Vibrationen herausgefiltert werden. Ähnliche System kennt man bereits von anderen Herstellern, beispielsweise mit kleinen Stahlfedern.
Während die Buttercups im Inneren der Gabel versteckt sind, erblickt das geübte Auge die neuen Pressure Relief Valves auf den ersten Blick. Diese befinden sich auf der Rückseite der Tauchrohre und sollen per Druck auf das Ventil den durch hartes Fahren oder Höhenunterschiede aufgebauten Innendruck im Casting ausgleichen. Ebenfalls sehr praktisch könnten die etwas ironisch getauften „Stiffness Reducers“ sein. Diese füllen den Ausschnitt an den Ausfallenden der Gabel so weit aus, dass man wieder reguläre Naben ohne umständliches Fädeln einbauen kann. Aktuelle RockShox-Gabeln sind für Naben mit deutlich größeren Torque Caps optimiert, welche die Torsionssteifigkeit des Gesamtsystems um 5 % erhöhen sollen. Wir verzichten gerne darauf, zugunsten weniger Gefluche beim Einbau des Vorderrads.
Die drei RockShox Flight Attendant-Gabeln verfügen über die neue RockShox DebonAir+ Luftfeder, die intern etwas der mit der RockShox Domain vorgestellten DebonAir-Feder ähnelt und ein besseres Ansprechverhalten mit mehr Gegenhalt verbinden soll. Auch der Dämpfer hat eine neue Luftkammer, die deutlich schlanker als zuvor ausfällt. Statt auf eine MegNeg-Kammer zurückzugreifen, hat man nun die Wahl aus zwei Luftkammern mit unterschiedlich großer Negativ-Kammer. Optional gibt es zudem nun einen internen, hydraulischen Durchschlag-Schutz, der an unserem Testrad allerdings nicht verbaut war.
Vorerst bleiben alle technischen Neuerungen auf Produkte aus dem Flight Attendant-System beschränkt. Doch auch wenn RockShox sich diesbezüglich bedeckt hält, kann man fest davon ausgehen, dass Buttercups, Pressure Relief Valves und Co. bald auch ihren Weg an nicht-elektrische Komponenten finden werden.
Pike Ultimate Flight Attendend | Lyrik Ultimate Flight Attendend | Zeb Ultimate Flight Attendend | |
---|---|---|---|
Laufradgröße | 27,5", 29" | 27,5", 29" | 27,5", 29" |
Federweg | 120 mm, 130 mm, 140 mm | 140 mm, 150 mm, 160 mm | 150 mm, 160 mm, 170 mm, 180 mm, 190 mm |
Dämpfer Typ | Charger Flight Attendant mit ButterCups | Charger Flight Attendant mit ButterCups | Charger Flight Attendant mit ButterCups |
Feder | DebonAir+ | DebonAir+ | DebonAir+ |
Gabel Versatz | 37 mm (27,5"), 44 mm (27,5", 29") | 37 mm (27,5"), 44 mm (27,5", 29") | 38 mm (27,5"), 44 mm (27,5", 29"), 51 mm (29") |
Standrohr Typ | 35 mm Aluminium | 35 mm Aluminium | 38 mm Aluminium |
RockShox Super Deluxe Ultimate Flight Attendend | |
---|---|
Eye to Eye / Stroke | 165x37.5(TR), 165x40(TR), 165x42.5(TR), 165x45(TR), 185x47.5(TR), 185x50(TR), 185x52.5(TR), 185x55(TR), 190x37.5, 190x40, 190x42.5, 190x45, 205x57.5(TR), 205x60(TR), 205x62.5(TR), 205x65(TR), 210x47.5, 210x50, 210x52.5, 210x55, 225x67.5(TR), 225x70(TR), 225x72.5(TR), 225x75(TR), 230x57.5, 230x60, 230x62.5, 230x65, 250x67.5, 250x70, 250x72.5, 250x75 |
Dämpfertyp | RCT3 Flight Attendant mit optionalem Hydraulic Bottom Out |
Zugstufenabstimmung | Degressiv, Linear |
Druckstufenabstimmung | H, L, L1, LC, M |
Lockout Force | 320, 380, 420 |
Shaft Eyelet | Bearing, No Bushing, Standard, Trunnion |
Body Eyelet | Bearing, No Bushing, No Bushing - 90 Deg Rotation, Standard, Standard - 90 Deg Rotation |
Zwei neue Luftkammer Optionen | Progressiv und Linear |
Auf dem Trail
Setup
Hat man sein neues Bike mit RockShox Flight Attendant-Fahrwerk in der Hand, muss man es erst kalibrieren, bevor es damit auf die Trails geht. Zuallererst müssen alle AXS-Komponenten gepaart werden, wobei die Gabel als Master funktioniert. Das funktioniert analog zur SRAM AXS-Schaltung – Infos zum Vorgehen gibt’s hier: SRAM X01 Eagle AXS im Langzeit-Test: Liebe auf den ersten Klick? Anschließend passt man den Luftdruck an, wie bei jedem regulären Fahrwerk. Die Kalibrierung ist in der App detailreich und nachvollziehbar erklärt. Im Prinzip muss man nur auf ebenem Untergrund auf dem Rad sitzen, um den Sag zu bestimmen und das Rad anschließend in Richtung der Nicht-Antriebs-Seite lehnen. Das Ganze ist in wenigen Minuten erledigt und muss nur wiederholt werden, wenn ihr starke Anpassungen am Luftdruck und somit dem Sag vornehmt.
Die passende Rebound-Dämpfung stellt man wie gewohnt über Drehknöpfe ein, die Low Speed Compression am Control Module der Gabel. Wer seine Mitfahrer*innen beeindrucken will, nimmt natürlich die App – denn es wirkt schon sehr futuristisch, wenn man auf seinem Handy rumdrückt, die LEDs der Gabel plötzlich in einer neuen Farbe pulsieren und sich der kleine Motor an Gabel und Dämpfer surrend, Klick für Klick in Aktion setzt.
Fahreindrücke
Zur Vorstellung des neuen Systems hatte RockShox zunächst auf die abwechslungsreichen Enduro-Trails am Reschenpass eingeladen. Anschließend konnte ich das für mich aufgebaute YT Capra Uncaged 6 mehrere Wochen auf meinen Hometrails im Thüringer Wald fahren und sämtliche Features ausprobieren. Die ersten Runden fanden jedoch in Begleitung einer RockShox-Delegation und mit Abdeckungen über Gabel und Dämpfer statt – einerseits, um die Produkte vor neugierigen Blicken an den Liften zu schützen, zum anderen ließ man auch mich weitestgehend im Dunkeln über das, was ich da fahre. Normalerweise kann man durch die ständig pulsierende, grüne LED am Control Module sehen, in welchem Modus sich das Fahrwerk befindet – alternativ gibt’s jedoch einen Dark Mode, der das unterbindet und etwas Akku spart. Mit Abdeckung war ich jedoch gänzlich unwissend und sozusagen im Blindflug unterwegs.
Das Erste, was man beim Losrollen feststellt, ist: Es geht ganz schön effizient zur Sache! Kaum aufgestiegen und ein paar Meter auf Asphalt gekurbelt, schon surrt es etwas mysteriös und man ist dank komplett straffem Fahrwerk mit seinem Enduro unterwegs wie auf einer XC-Feile. Wippen und schaukeln hilft gar nichts – es bleibt straff. Erst wenn eines der Räder den Bodenkontakt verliert, surrt es wieder leise und der Federweg wird freigegeben. Das Surren ist bereits einer der großen Unterschiede zu anderen Systemen. Zu Beginn ist es recht schwer zuzuordnen und man weiß gar nicht so genau, was es jetzt gemacht hat – später hört man es jedoch recht genau, vor allem wenn man alleine unterwegs ist, und hat eine ganz gute Ahnung, welcher Modus nun eingeschaltet wurde. Störend fand ich das Geräusch übrigens nie – es ist etwa so leise wie die AXS-Schaltung. Unterhält man sich oder konzentriert sich auf den Trail, geht es im allgemeinen Tumult unter.
Biegt man von der Straße ab, passiert sofort wieder irgendetwas. Ohne LED und Erfahrung ist es wirklich schwer zu sagen, was genau, aber man sitzt weiterhin angenehm und pedaliert effizient nach oben. Dieses Gefühl, dass sich das Rad unter einem anpasst, ist ziemlich interessant und aufregend. Zu Beginn habe ich mich natürlich vorrangig dafür interessiert, ob das System auch rechtzeitig öffnet, wenn ich es brauche und siehe da: Fährt man stumpf gegen ein größeres Hindernis, etwa eine Wurzel, surrt es sofort erneut und Gabel sowie Dämpfer sind im offenen Modus. RockShox zufolge trifft das Fahrwerk alle 5 Millisekunden eine Entscheidung – ob es dann auch ähnlich schnell umschaltet, wird nicht angegeben. Allerdings konnte ich keine deutlich spürbare Verzögerung zwischen dem Auftreffen auf ein Hindernis und dem Öffnen des Fahrwerks feststellen – das geht blitzschnell.
So verwundert es nicht, dass man beim Einbiegen auf den ersten, recht ausgebauten Trail direkt wieder das bekannte Surren vernimmt und nun ganz klar spürt, dass das Fahrwerk offen und bereit für harte Schläge ist. Auf der Abfahrt macht sich die Elektronik rar und lässt stattdessen die bewährte Hardware arbeiten. So lässt sich sagen, dass die RockShox Zeb Ultimate und der passende Super Deluxe Ultimate in meinem YT-Testbike extrem sensibel ansprechen, feine Schläge und Vibrationen, die auf den eher schnellen Trails am Reschenpass auf der Tagesordnung stehen, gekonnt rausnehmen und gleichzeitig bei harten Schlägen ausreichend Gegenhalt bieten. Mit der Zeit habe ich einige Klicks Low Speed Compression über die futuristische App hinzugefügt und mich über die pulsierenden und bunten LEDs gefreut. Ansonsten passt das erste Setup, das mir Fahrwerks-Guru Jon Cancellier verpasst hat, perfekt.
Zeit, um mich mit dem Fahrwerk so richtig vertraut zu machen, boten weitere Wochen Testzeit auf meinen Hometrails im Thüringer Wald im August und September. Ohne Abdeckung oder Dark Mode ist man bergauf ziemlich verlockt, die blinkenden LEDs am Control Module zu beobachten. Standardmäßig ist die Bias-Einstellung, die festlegt, ob das Fahrwerk im Zweifel eher Open oder Lock präferiert, in der Nullstellung. Das ist sicherlich gut für alle, die sich primär wenig Gedanken machen wollen und nicht auf das letzte Quäntchen Performance aus sind. Auf Schotterwegen ist man so meist im Pedal oder Lock-Modus unterwegs, sobald man in den Downhill-Trail einbiegt, öffnet sich das Fahrwerk. Kurze Anstiege auf wurzeligem Trail-Boden erkennt das Fahrwerk so allerdings nicht und bleibt vorrangig im Wiegetritt offen.
Als ehrgeiziger Fahrer hat mich also der +2 Bias interessiert – volle Präferenz auf den Lock-Modus quasi. Die Einstellung ist in Sekundenschnelle im Wald vorgenommen und die Änderungen werden sofort deutlich. Das Fahrwerk reagiert nun spürbar schneller und schaltet schon nach wenigen Metern auf einer Schotterstraße in den Lock. Generell tut sich nun wesentlich mehr: Auf Wiesenwegen und Trail-Transfers wechselt Flight Attended im Sekundentakt zwischen Pedal und Open – übrigens nun auch unabhängig an Front und Heck. Davon spürt man nicht viel – man rollt einfach effizient, aber bequem dahin. Nur auf den hier üblichen, grobschottrigen Waldwegen hätte ich mir gewünscht, dass öfter der Pedal- statt Lock-Modus gewählt wird. Abhilfe schafft jedoch der Override-Modus: Den habe ich mir in der App auf Pedal festgelegt und für längere Anstiege auf grobem Schotter eingelegt. Auf dem Trail hingegen ist er nicht wirklich zu gebrauchen, denn den Controller eine Sekunde lang drücken zu müssen, ist hier eindeutig zu lang.
Mit dem Bias-Modus voll auf Lock profitieren auch Racer und Strava-Fanatiker deutlich mehr vom Flight Attendant-Fahrwerk. In kurzen Trail-Uphills schaltet das Rad so häufig in den Pedal-Modus – auch, wenn man wie ein Berserker im Wiegetritt unterwegs ist, weil der nächste KOM fallen muss. Hier spielt eine große Rolle, wie steil es nach oben geht. Das Fahrwerk registriert das offensichtlich, denn auf flachen oder leicht abschüssigen Sprints auf Waldwegen im Wiegetritt war es oft nicht dazu motiviert, den Open-Modus zu verlassen. Ich war auf meinen Touren die meiste Zeit im Bias +1, die letzten zwei Woche sogar +2 unterwegs und würde das allen Fahrer*innen, die auf Effizienz aus sind, ebenfalls empfehlen. Wer es eher gemütlich mag oder mehr Wert auf Grip in technischen Anstiegen legt, der könnte 0 oder sogar einen der Minus-Werte präferieren. Generell ist die Bias-Einstellung extrem gelungen, sehr schnell anzupassen und hat einen deutlichen Effekt!
Egal in welcher Bias-Einstellung – RockShox hat offensichtlich viel Wert darauf gelegt, dass das Rad im Open-Modus ist, wenn es sein muss. Ich habe in mehreren Einstellungen die Probe aufs Exempel gemacht und bin mit kaltem Angstschweiß auf der Stirn in einen technischen Trail-Eingang gesprintet, nur um glücklicherweise jedes Mal festzustellen, dass Flight Attendant rechtzeitig von Lock zu Open gewechselt ist.
Vor dem Test hat mich tatsächlich der manuelle Modus sehr interessiert. Ich hatte eine gewisse (mittlerweile widerlegte) Skepsis gegen den Auto-Modus, dachte jedoch, dass ein Lockout ohne hässliche Kabel, den man auch auf dem Trail ein- und ausschalten kann, eine ziemlich hilfreiche Sache wäre. Nachdem ich ihn zu Beginn jedoch mehrfach probiert habe, habe ich wenig Sinn darin erkennen können und ihn die restlichen Wochen nie mehr genutzt. Der Auto-Modus funktioniert viel zu gut, schnell und mühelos, als dass man selbst in der manuellen Bedienung mithalten könnte.
RockShox Flight Attendant vs. Fox Live Valve
Einen echten Vergleichstest können wir zu diesem frühen Stadium leider nicht anbieten. Allerdings bin ich das Fox Live Valve-System Anfang 2021 an einem Giant Trance X (Giant Trance X Advanced Pro 0 29-Test) gefahren. Zwischen den Eindrücken liegen also mehrere Monate und etwa 35 mm Federweg am Heck, was einen detaillierten Vergleich unmöglich macht. Dazu kommt, dass beide Systeme vom Bike-Hersteller voreingestellt werden. Es lassen sich jedoch durchaus einige Eindrücke vergleichen.
In Sachen Style und Haptik schlägt das neue RockShox Flight Attendant-System das bereits einige Jahre ältere Fox Live Valve um Längen. Während Live Valve auf eine Vielzahl von verkabelten Einzelteilen setzt, ist bei Flight Attendant davon keine Spur zu sehen. Dazu kommt das viel übersichtlichere Control Module auf der Oberseite der RockShox-Gabel, das über LEDs zudem jederzeit die gewählte Einstellung zeigt. Fox hingegen bringt den zentralen Akku mit Kontrolleinheit am Rahmen unter – am Giant und bei weiteren Modellen sitzt er verkehrt herum unter dem Oberrohr. Man muss sich also ganz schön verrenken, um an die verschiedenen Buttons zu kommen. Durch die Verkabelung und die fummeligen kleinen Stecker ist es zudem eher nervig, Gabel oder Dämpfer auszubauen. Derartige Probleme hat Flight Attendant nicht. Akkus, die geladen und im blödesten Fall vergessen werden können, haben beide Systeme. RockShox setzt immerhin auf die verbreiteten AXS-Akkus … einen zweiten Live Valve-Akku zu finden, dürfte im Normalfall schwierig sein.
Die Nase vorn hat Live Valve in Sachen Abtast-Geschwindigkeit: Jede Millisekunde trifft das Fox-Fahrwerk eine neue Entscheidung. RockShox benötigt dafür fünfmal so lange, ist allerdings immer noch unfassbar schnell. Praktisch sollte das kaum einen Unterschied machen, da das tatsächliche Umsetzen eines Befehls – also die Bewegung des Motors – deutlich länger dauern dürfte. Keiner der beiden Hersteller gibt an, wie lange das Umschalten dauert. Fox könnte dank Kabeln hier schneller sein, gemerkt haben wir davon allerdings nichts. Das wird jedoch auch dadurch erschwert, dass das Fox-Fahrwerk komplett geräuschlos arbeitet und keinerlei Auskunft darüber gibt, in welchem der zwei Modi man sich befindet. Flight Attendant hingegen surrt – wenn man aufpasst – hörbar, zeigt immer den aktuellen Modus an und bietet zusätzlich einen mittleren Pedal-Modus.
Was die reinen Fahreindrücke angeht, hat RockShox aktuell ebenfalls die Nase vorne. Der Pedal-Modus ist eine sehr sinnvolle Ergänzung – gerade in technischen Anstiegen will man nicht unbedingt ein Rad im Lock-Modus haben. Am mit Live Valve ausgestatteten Giant Trance X haben wir zudem kritisiert, dass uns das Fahrwerk teilweise heftige Schläge auf dem Trail eingebaut hat – ein Verhalten, das erst nach Abschalten der Elektronik verschwunden ist. Flight Attendant hingegen hat einen starken Fokus auf den offenen Modus und diesen beim Abbiegen in die Abfahrt stets rechtzeitig gewählt. Während das leise und schnelle Live Valve also vor allem für Touren-orientierte Fahrer und Kilometerfresser passend ist, können wir das RockShox-System auch Enduro-Racern uneingeschränkt empfehlen.
Parallel zum Bias von RockShox kann man an Live Valve die Auslösehärte in fünf Stufen einstellen. Mit den von Giant gewählten Einstellungen war ich stets im leichtesten Modus unterwegs, bei Flight Attendant jedoch mit voller Präferenz auf Lock. Hier dürften jedoch die vom jeweiligen Rad-Hersteller getroffenen Voreinstellungen, auf die man als Endkunde keinen Einfluss hat, eine große Rolle spielen, was den Vergleich schwierig macht. Eine praktische App bietet Fox im Gegensatz zu RockShox aktuell leider nicht an.
Das ist uns aufgefallen
- Control Module Die allermeisten Einstellungen kann man direkt am Control Module an der Gabel vornehmen. Nur für wenige Änderungen braucht es tatsächlich die Smartphone-App. Die Bedienung über drei Buttons und verschieden farbige LED-Leuchten ist intuitiv, die Farben hat man schnell verinnerlicht. Praktisch ist außerdem, dass man seine LSC-Einstellung sofort an den leuchtenden LEDs ablesen kann und nicht erst umständlich Klicks zählen muss!
- Akku-Management Die sechs neuen Flight Attendant-Bikes haben insgesamt vier AXS-Akkus am Rad. Man sollte sich also grob überlegen, wann man was lädt. Etwas unverständlich ist uns, warum es weiterhin nur die einzelnen Ladestationen von SRAM gibt. Eine Doppel-Station würde einem viel Kabelwirrwarr ersparen. Insgesamt hatten wir jedoch nie Probleme mit leeren Akkus: Sie halten tagelang und sind in wenigen Minuten wieder ausreichend geladen.
- AXS-App Die bekannte AXS-App wurde um das Flight Attendant-Fahrwerk erweitert und stand uns in einer nicht-öffentlichen Beta-Version zur Verfügung. Ist einmal alles miteinander verbunden, funktioniert die Bedienung übersichtlich und mühelos. Hier ist sicherlich noch viel Potenzial für weitere Einstellmöglichkeiten vorhanden – allerdings auch die Gefahr geboten, dass man Kunden mit zu viel Spielraum überfordert.
- Bias-Funktion Der Bias ist die für uns nützlichste Funktion, da man so festlegen kann, ob das Fahrwerk eher zum offenen oder geschlossenen Zustand tendieren soll. Die Änderung ist schnell gemacht und sofort wirksam und spürbar.
- Für wen ist das eigentlich? Für Racer? Jein! Mit dem Bias auf +2 kann man auf vielen langen Trails durchaus effizienter treten, generell ist das Fahrwerk jedoch in ruppigem Gelände bei harter Fahrweise zurückhaltend und tendiert zum offenen Modus – was wir gut finden! Stattdessen sehen wir Technik-interessierte Vielfahrer als mögliche Early Adopter. Man kann fahren, fahren, fahren und profitiert häufig von einem effizienten Fahrwerk, braucht sich aber keinerlei Gedanken darüberzumachen. Nur die Akkus müssen alle paar Wochen geladen werden.
Fazit – RockShox Flight Attendant
Wir würden das RockShox Flight Attendend-System am ehesten mit den immer verbreiteteren Fahr-Assistenz-Systemen am Auto vergleichen: Man braucht es nicht, um sicher und spaßig Rad zu fahren … aber es macht es einfacher.
Angesprochen dürften vor allem Vielfahrer sein, die keine Lust haben, ständig zum Lockout-Hebel zu greifen. Stattdessen kann man seine Runden drehen und in dem sicheren Wissen, dass das Fahrwerk viel schneller und präziser durch die Modi wechselt, als man es selbst je könnte, seine Gedanken schweifen lassen oder sich voll auf den Trail konzentrieren. Wichtig ist, dass Flight Attendend immer rechtzeitig in den offenen Modus wechselt und sich über den Bias effizient anpassen lässt. Die Bedienung über Control Module und App kann ebenfalls auf ganzer Linie überzeugen.
Pro / Contra
Pro
- einfache und übersichtliche Bedienung
- trifft meist korrekte Entscheidungen
- nie gelockt, wenn es offen sein sollte
- macht Touren effizient und sorglos
- schicke Optik trotz hohem Funktionsumfang
Contra
- hoher Preis und limitierte Verfügbarkeit
- könnte mehr Einstellmöglichkeiten haben
Mehr Elektrik am Rad, um ohne Aufwand immer effizient unterwegs zu sein – klingt das für dich gut?
Testablauf
Wir konnten das neue RockShox Flight Attendant-System bereits zwei Monate vor der offiziellen Vorstellung zwei Tage lang am Reschenpass ausprobieren. Anschließend durften wir das YT Capra Uncaged 6-Testbike mit nach Hause nehmen und die restliche Zeit auf ausgiebigen Touren auf den uns sehr gut bekannten Hometrails fahren.
Hier haben wir das RockShox Flight Attendant-Fahrwerk getestet
- Reschenpass Ruppige, teils stark ausgebaute, teils gänzlich natürliche Alpen-Trails. Heftige Downhill-Stücke wechseln sich mit technischen und flachen Traversen und Uphills ab.
- Thüringer Wald Sehr naturbelassene, wurzlige und steinige Trails mit etwa 200 bis 300 Tiefenmetern. Alle Aufstiege müssen aus eigener Kraft auf relativ steilen und ungepflegten Wald- und Schotterwegen zurückgelegt werden.
- Schwarzwald In Sasbachwalden gibt es einen langen Enduro-Trail voller gut gebauter Sprünge und technischer Transfer-Stücke, die das automatische Fahrwerk auf die Probe stellen.
- Fahrstil
- verspielt
- Ich fahre hauptsächlich
- Downhill, Enduro
- Vorlieben beim Fahrwerk
- unauffällig, eher progressiv, wenig Druckstufe
- Vorlieben bei der Geometrie
- ausgewogen, nicht zu lang, Lenkwinkel nicht zu flach
Hier findest du alle weiteren Artikel zum RockShox Flight Attendant-System:
- Neue RockShox Flight Attendant-Generation: Jetzt auch für Trail und Enduro
- RockShox Flight Attendant XC: Diese Bikes gibt es schon mit dem neuen System
- Neues RockShox Flight Attendant-System im Test: Elektrische Leistungs-Revolution fürs XC-Fahrwerk
- RockShox Flight Attendant im Video-Check: Teures Gadget oder sinnvolle Technik?
- RockShox Flight Attendant-Fahrwerk: Diese 6 Bikes gibt es schon mit dem neuen System
- Elektrisches RockShox Flight Attendant-System im Test: Ist das Vollautomatik-Fahrwerk die Zukunft?
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