Original geschrieben von gekkox
Was nun? Ich soll mich als Radfahrer mit einer um 35 km/h langsameren Höchstgeschwindigkeit zufriedengeben als an gleicher Stelle auf der Straße? Da bleibt ja jeder Greschwindigkeitsvorteil des Bikes auf der Strecke. Das muß sich wohl die Lobby der Autoindustrie ausgedacht haben
Nicht nur, sondern auch. Ein wenig Geschichtsunterricht hierzu liefern
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ForschungsDienst Fahrrad
FDF 136 - 09.03.1991
BURKHARD HORN: VOM NIEDERGANG EINES MASSENVERKEHRSMITTELS - ZUR GESCHICHTE DER STÄDTISCHEN RADVERKEHRSPLANUNG
Ausgrenzung des Fahrradverkehrs mit NS-Verkehrsplanung eingeleitet
Wichtigstes Ergebnis: Während und nach der NS-Zeit, wo die Massenmotorisierung zur Propaganda gehörte, hatten weitgehend die selben Personen und Einrichtungen maßgeb-lichen Einfluß auf die Richtlinien der Radverkehrsplanung in Deutschland. Auch nach dem Krieg wurde Radwegebau für den Vorrang des Autoverkehrs betrieben, um Fahrbahnen für die Massenmotorisierung frei von Radfahrern zu bekommen.
Zum Inhalt: Nach der von Burkhard Horn als Diplomarbeit an der Gesamthochschule Kassel verfaßten *Geschichte der städtischen Radverkehrsplanung* hat sich der Radverkehr in Deutschland in verschiedenen Phasen entwickelt. Noch vor dem ersten Weltkrieg wurde das Fahrrad vom Sportgerät der Oberschicht zum Alltagsverkehrsmittel der Arbeiter. In den zwanziger Jahren kam der Aufstieg zum Maßenverkehrsmittel. Bis in die fünfziger Jahre hinein konnte sich das Fahrrad behaupten; danach begann der schlagartige Nieder-gang. Erst seit Mitte der siebziger Jahre gibt es eine allmähliche Renaißance des Radverkehrs.
Gründe für den um 1890 datierbaren *Beginn der Radwegediskussion* mit der Forderung nach seperaten "Radfahrbahnen" oder "Radfahrwegen" waren u.a. die Gefährdung der Fußgänger, Gefahren durch scheuende Pferde und Unfallgefahren durch sorglos fahrende Radfahrer. Erste Radwege entstanden 1897 in Bremen, 1898 in Hannover; große Pläne gab es 1899 für Hamburg.
Die weitere Entwicklung des Radwegebaus in Deutschland läßt sich in ihren theoretischen Grundlagen maßgeblich auf einzelne Personen zurück-führen. In den zwanziger Jahren auf den Magdeburger Stadtbaurat *Henneking*, und in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren auf den Verkehrsingenieur *Hans-Joachim Schacht*.
Henneking verfaßte im Auftrag des Vereins Deutscher Fahrradindustrieller 1926 die ersten Empfehlungen zur "Anlage von Radfahrwegen" für das Fahr-rad als Massenverkehrsmittel. 1927 entstanden unter seinem Einfluß bei der Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau (STUFA) erste "Richtlinien für Radfahrwege", wo die Bedürfnisse des Radverkehrs berücksichtigt und gleichzeitig im Interesse des Autoverkehrs auch eine grundsätzliche Trennung der Verkehrsarten erreicht werden sollte. Das STUFA-Mindestmaß von 1,50 m für Zweirichtungsradwege hielt Henneking allerdings für zu gering (2 - 2,75 m).
Die Überschätzung der Leistungsfähigkeit schmaler Radwege und die Abkehr vom Radfahrstreifen auf der Fahrbahn geht vor allem auf Schacht zurück. In seiner 1933 an der TU Dresden verfaßten Dissertation begründet Schacht die "Herausnahme des Radverkehrs aus allen Verkehrs-straßen, bei denen der Schnellverkehr eine wesentliche Rolle spielt", sowie das Regelmaß von 1 m für einen einspurigen Radweg mit Argumenten der Verkehrssicherheit und der Leistungsfähigkeit.
Als Geschäftsführer der in den NS-Apparat eingebundenen neuen "Reichs-gemeinschaft für den Radfahrwegebau" wirkte Schacht ab 1934 an der verstärkten Förderung des Radwegebaus mit, die für die propagierte Massenmotorisierung und gegen die Arbeitslosigkeit notwendig war, und veranlaßte 1936/7 die "Richtlinien für die Anlage von Radfahrwegen" des NS-Regimes. Auch nach dem Krieg vertrat Schacht die Auffassung, die Rad-wegeplanung müsse sich der Autoverkehrsplanung unterordnen. Als Arbeits-kreisleiter der umbenannten STUFA, jetzt Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen FGS, entstanden unter seinem Einfluß nach dem Krieg die "Richtlinien" von 1952.
1961 wurde der Radverkehrsausschuß der FGS dem Fußgängerverkehr zugeschlagen. Für die Radwegeplanung wurde das unbehinderte Fahren der Autofahrer zum Ziel. Beseitigt werden sollten z.B. die durch Radfahrer verursachten *Störungen* an Knotenpunkten (Ergebnis: Vorläufige Richt-linien für Radverkehrsanlagen" von 1963). 1982, als die Renaißance des Radverkehrs unübersehbar wurde, veröffentlichte der Ausschuß die relativ unverbindlichen "Empfehlungen für Planung, Bau und Betrieb von Radverkehrsanlagen", bei denen die Radnetzplanung und die Bedeutung des Fahrrads als Verkehrsmittel wieder stärker betont wurden.
Über die Zukunft des Fahrrads gibt es je nach Position unterschiedliche Ansichten. Auf der einen Seite wird betont, das Fahrrad könne als voll-wertiges Verkehrsmittel im Umweltverbund mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder größere Bedeutung erlangen. Dabei soll aber auf Stadtstraßen vor allem das Zu-Fuß-Gehen und das Sich-Aufhalten gefördert werden und nicht wieder zugunsten des Radverkehrs zurückgedrängt werden. Voraussetzung ist allerdings, daß das entstandene Vorstellungsbild vom Radfahrer als "halbem Fußgänger" wieder korrigiert wird und "Entflechtung" und "Entmischung" als Ziele an Bedeutung verlieren. Dagegen treten einflußreiche Verkehrsplaner wie *Konrad Pfundt*, Leiter der Schadensstelle für Unfall-verhütung der Autoversicherungen, ein - voll Unverständnis gegen "unkon-ventionelles" Planen und die "Ideologen", die Erschwernisse für den motorisierten Verkehr für vertretbar halten.
Diplomarbeit: "Vom Niedergang eines Massenverkehrsmittels - Zur Geschichte der städtischen Radverkehrsplanung", Diplomarbeit, Gesamthochschule Kassel, Fachbereich Stadt- und Landschaftsplanung 1990.
Verfasser: Burkhard Horn, Goethestr. 32, W-3500 Kassel, Tel. 0561/104913 (ob die Adresse noch stimmt, weiß ich nicht; Betreuer waren Rainer Meyfahrt und Christian Kopetzki (E.St.)).
http://www-2.informatik.umu.se/adfc/fdf/fdf-136.html
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und
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ForschungsDienst Fahrrad
FDF 218 - 28.05.1994
VOLKER BRIESE:
GESCHICHTE DER RADFAHRWEGE
Radfahrwege für die Entwicklung des Kraftverkehrs
Wichtigstes Ergebnis: Die ersten Radfahrwege Anfang des Jahrhunderts wurden für den Komfort der Radfahrer gebaut; seit Ende der zwanziger Jahre wurden Radwege als Voraussetzung für die Entwicklung des Kraftverkehrs gefordert und gefördert. Erst seit den dreißiger Jahren werden Radfahrer gezwungen, angeblich zu ihrer Sicherheit Radwege zu benutzen.
Zum Inhalt: Volker Briese hat die seit 1886 bis heute erscheinende Branchenzeitschrift "RadMarkt" ausgewertet und die Geschichte der Radfahrwege in Deutschland bis 1940 zusammengestellt. Im vergangenen Jahrhundert kam es bereits zur Forderung nach Radfahrwegen, weil die ungepflasterten oder mit großen Steinen befestigten Fahrdämme zum Radfahren denkbar ungeeignet waren.
Die ersten besonderen Wege für Radfahrer entstanden lokal ohne einheitliche Richtlinien oder staatliche Vorgaben. In Bremen, Hamburg und Lüneburg waren dies zunächst für Radfahrer verbesserte Fahrdammteile, in der Umgebung von Hannover und Magdeburg Wege für den Erholungs- und Ausflugsverkehr. Gebaut wurden sie durch Selbsthilfeaktionen von Radfahrwegevereinen oder als städtische Anlagen.
1926/28 wurde die Forderung etabliert, Radfahrer durch Radfahrwege vom Fahrdamm zu verbannen. Die erste "Bibel" des Radfahrwegebaus stammt aus dem Jahr 1926 vom Magdeburger Stadtbaurat Dr. Henneking: "Der Radfahrverkehr. Seine volkswirtschaftliche Bedeutung und die Anlage von Radfahrwegen". 1927 entstanden dann "Richtlinien für die Schaffung von Radfahrwegen" der Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau. Seit dieser Zeit wird in Deutschland, nicht dagegen z.B. in England, der Radwegebau intensiviert, damit der Radfahrer endlich "von der Straße" kommt.
In der NS-Zeit wurde der Radwegebau in die Regierungs- und Parteipropaganda auch als wichtige Voraussetzung für die Förderung des Kraftverkehrs integriert. Das Nationalsozialistische Kraftfahrer-Korps (NSKK) und Der Deutsche Automobil-Club (DDAC) unterstützen den Radwegebau.
In der am 1.10.1934 eingeführten "Reichs-Straßen-Verkehrs-Ordnung" (RStVO) wird Radfahrern, Reitern und Fußgängern das Recht zur Straßenbenutzung erheblich beschränkt: "Ist eine Straße für einzelne Arten des Verkehrs bestimmt (Fußweg, Fahrradweg, Reitweg) so ist dieser Verkehr auf den ihm zugewiesenen Straßenteil beschränkt."
Die Radwegebenutzungspflicht wurde zum zentralen Disziplinierungsinstrument gegenüber den Radfahrern, obwohl diese in den dreißiger Jahren mit einem Verhältnis von 20:3 noch eine deutliche Mehrheit gegenüber den Kraftfahrern hatten. Die intensive Propaganda der Radwegebenutzungspflicht ab 1934 läßt darauf schließen, daß die Radfahrer mit den inzwischen angelegten schmalen Radwegen mit billigen, leicht zerstörbaren Oberflächen nicht zufrieden waren und stattdessen lieber den Fahrdamm benutzten. Während die Reichsautobahnen als "Straßen Adolf Hitlers" gefeiert wurden, wurden Radfahrwege die "Straßen des kleinen Mannes" genannt. "Zeigen wir [zur kommenden Olympiade 1936] dem staunenden Ausländer einen neuen Beweis für ein aufstrebendes Deutschland, in dem der Kraftfahrer nicht nur auf den Autobahnen, sondern auf allen Straßen durch den Radfahrer freie, sichere Bahn findet."
V. Briese: "Radwegebau vor dem Zweiten Weltkrieg. Zurück in die Zukunft", in: Radmarkt 5/1993. "Radwege. Opium für Radfahrer", in Radfahren 1/1994. "Radwege. Automobilverbände bestimmen Fahrradpolitik", in: Radfahren 2/1994.
Anschrift: Prof. Dr. Volker Briese, Elser Kirchstr. 39, 33106 Paderborn; Tel. 0521-69450.
http://www-2.informatik.umu.se/adfc/fdf/fdf-218.html
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Der Forschungsdienst Fahrrad des ADFC berichtete bis 1999 14-tägig über Verkehrswissenschaft und Fahrradpolitik. Vielen Dank an die Herausgeber Tilman Bracher und Mattias Doffing und an Elmar Steinbach, der die FDFs ins Internet gebracht hat.
Seit Mitte 1999 ist der Forschungsdienst Fahrrad eingestellt. Er wurde durch den Bicycle Research Report ersetzt, der beim ECF (
www.ecf.com) abonniert werden kann. European Cyclists' Federation ECF - Rue de Londres 15 (b. 3) - B-1050 Brussels - Phone: +32-2-512 98 27 - Fax: +32-2-511 52 24, e-mail:
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